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Worum geht's?

Friedrich II. - der Große! - und der Müller von Sanssouci...

...ist zeitgenössische Satire, 1995 fürs Radio erfunden und inzwischen fest in der Kleinkunstlandschaft verwurzelt. Wer Preußentümelei erwartet, ist allerdings auf dem falschen Dampfer: König und Müller sind lediglich Karikaturen einer Symbiose, die es so nie geben konnte. Der Alte Fritz und sein renitenter Nachbar hadern wie ein altes Ehepaar; da logiert die Schadenfreude, Mutterwitz paart sich mit Weisheit, und große Politik wird kleingelacht und unter die Bratkartoffeln verrührt.

 

Der Alte Fritz...

...hatte im Januar 2012 seinen 300. Geburtstag und lebt offensichtlich auf dieser Erde unkündbar fort. König, Feldherr, Philosoph war der Mann; berühmt gemacht haben ihn Kartoffeln, siebenjähriger Krieg und Sanssouci - und war da nicht noch was mit dem Müller, dem er die Mühle wegnehmen wollte?

 

Die Legende...

...fußt auf der Vermischung mehrerer Tatsachen und erzählt von dem wohl berühmtesten Nachbarschaftsstreit des 18. Jahrhunderts: Stein des Anstoßes ist die historische Mühle im Potsdamer Park Sanssouci: Friedrich will sie abreißen, der Müller Grävenitz droht mit dem Gericht, der König kuscht - alles von Historienschreibern ausgedacht, kein Wort wahr, aber fortan in jedem preußischen Schulbuch Beweis dafür, dass auch ein großer König nicht immer kann, wie er will.

Was wirklich geschah:

Im Radio...

...sendet Antenne Brandenburg (rbb) die Zweiminuten-Hörspiele als Morgensatire jeden Samstag (bis August 2016 war's noch dienstags). Im November 2024 lief die 1440. Folge! Die jeweils aktuellste können Sie hier aufrufen:   

Hier gelangen Sie zur Fritz&Müller-Seite von Antenne Brandenburg.

 

Auf der Bühne...

...stehen König und Müller mit ständig aktualisierten Kabarettprogrammen (siehe Programme). Wo wir im einzelnen auftreten, entnehmen Sie bitte dem Spielplan. Wir freuen uns, Sie dabeizuhaben!


Ein Vorwort des Autors...: 

"Landesgeschichte stiftet Identität und weist Wege. Diese Beschäftigung braucht wahrlich nicht allein die ernste, historisch fundierte Attitüde."

Das hat mir seinerzeit Manfred Stolpe ins Vorwort meines Buches "Friedrichs Glanz und Müllers Gloria" geschrieben - und außerdem: "Wer den Band in die Hand nimmt, wird sich vielleicht an die Hörspiele von Antenne Brandenburg (rbb) erinnern, die mit intelligenten und heiteren Mitteln aus der Vergangenheit schöpfend die Gegenwart betrachten." 2002 war das. Manfred Stolpe lebt leider nicht mehr - aber die Hörspiele gibt es immer noch: "Friedrich II. – der Große! – und der Müller von Sanssouci". Jeden Samstag im Radio und als kabarettistisches Kleinod auch außerhalb davon. Seit 17. Oktober 1995!

"Sacht ma, Majestät… Gloobt Ihr an den Weltuntajang? 

"Nein, Müller! Aber wenn einer von uns beiden dabei draufgehen sollte, mache ich mir ein schönes Leben!"

Damit sind wir mittendrin im schönsten Nachbarschaftsstreit. Davon gibt es ja in Brandenburg viele, aber dieser hier ist frei erfunden. Wie die Figuren auch.

Das heißt: Eigentlich hat es ja alles wirklich gegeben: Mühle, König, Müller, Streit. Mitte des 18. Jahrhunderts war's: König Friedrich stört das Klappern, er will die Mühle abreißen und tritt mit aller Macht an den Müller heran: "Er weiß, daß ich Ihm die Mühle nehmen kann?" Der Müller aber, Johann Wilhelm Grävenitz heißt er, rafft seine Wassersuppe zusammen: "Ja, Majestät, wenn det Kammerjericht in Berlin nich wär'!"

Und der König, jäh mit den eigenen Maximen konfrontiert, geht vor seiner eigenen Gerichtsbarkeit auf die Knie. Schön wär's.

War aber nicht so. Allerdings diese zwei Typen zur Karikatur zu verzerren - das war von Anfang an der Reiz der Satire. Denn sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Der preußische König als galliger Don Quichotte - und sein Knappe Sancho Pansa als Müller von Sanssouci. Der steht zwar eigentlich auf der anderen Seite des Gartenzauns, ist aber mal Gegenspieler, mal Verbündeter. Wie das bei Nachbarn eben so ist.

"Nu kiekt Euch det an, Majestät, wat die Sozis vasprechen: Die, die arbeiten, müssen davon leben können!" - 

"Ich verstehe Ihn, Müller! An Seiner Stelle würde ich auch nichts wählen, was mir den sofortigen Tod bringt!"

Einer ist des anderen bester Feind, es logiert die Schadenfreude, Mutterwitz paart sich mit Weisheit, und die beiden Nachbarn sind übern Gartenzaun hinweg nicht eben zimperlich – aber sie brauchen einander.

"Sacht ma, Majestät... wat is denn nu eijentlich Demokratie?"

"Nun, Müller... das ist... wenn zwei Wölfe und ein Schaf entscheiden, was es zum Abendbrot gibt!" 

Politik, Skandale, Wehwehchen. Brandenburg und der Rest der Welt; die beiden Nachbarn zerreden alles. König Friedrich mit vermeintlichem Herrschaftswissen, Müller Grävenitz als Brandenburger mit gesundem Menschenverstand, der auf seine Weise das tägliche Allerlei ins große Weltgefüge einordnet.

"Wat ham der Seehofer und det deutsche Reinheitsjebot jemeinsam?

"Nichts, Müller! -

"Doch, kommen beede aus Ingolstadt!"  

"Aber beim Seehofer ist Hopfen und Malz verloren!"  

Und nicht zu vergessen: die Kartoffel. Ein urpreußisches Gewächs – denn es brauchte erst einen Befehl, bevor es richtig gedieh. Der von Hause aus mißtrauische Brandenburger konnte nur mühsam davon überzeugt werden:

"Musste erst Grenadiere an den Kartoffelfeldern postieren!" 

"Ach, damit die Kartoffeln nich jeklaut wer'n?" 

"Au contraire, im Gegenteil: Was des Königs Soldaten bewachen, das wird schon taugen! Und siehe – noch der argwöhnischste Bauer hat Kartoffeln stibitzt wie ein Rabe!"

Sich über den eigenen Ursprung lustig machen - das hätte vielleicht sogar dem Alten Fritz gefallen, der nach dem Motto lebte "Mehr sein als scheinen". Damit ließe sich auch heute noch die Wesensart des Brandenburgers vorzüglich beschreiben. Oder um's mit Müller Grävenitz zu sagen: "Eens is sicha: Wir und die Kartoffeln wer'n im nächsten Jahr Oogen machen!"

Andreas Flügge


***

Zum Weiterlesen und Schmunzeln ein interessanter Aufsatz von DETLEF POHL (Jever, Ostfriesland): 

Der Müller: Ein Berufsbild im Wandel - vom Betrüger zum Lebensmitteltechniker

In romantisierender Verklärung wurde die landwirtschaftliche Arbeit bis in die Gegenwart hinein vielfach unkritisch und harmonisierend als naturnah, konfliktfrei und wenig entfremdet dargestellt. Heute wissen wir, dass dieses idyllische Bild besonders in der Vergangenheit nie der Realität am landwirtschaftlichen Arbeitsplatz entsprochen hat.
Erst nach und nach wird durch die Darstellung der unmenschlichen Arbeitsbedingungen, der Entbehrungen, der Krisenabhängigkeit und der Ausbeutung der Beschäftigten das heile Bild der bäuerlichen Alltagswelt entstaubt und entzaubert.
Eingebunden in die Produktionskette spielte auch der Müller eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft. Wir haben früher singen müssen, dass er „bei Tag und bei Nacht stets wach" war, „das Korn zu dem täglichen Brot mahlt... und wir Kinder dadurch keine Not haben. Klipp - klapp". Auch diese Idylle hält einer kritischen Analyse nicht Stand und soll im Folgenden hinterfragt werden. Dabei soll ein Schwerpunkt auf den Getreide verarbeitenden Windmüllern liegen.
In ihrer Ausgabe vom 26.03.2004 veröffentlicht „Die Welt" einen Artikel, der den etwas plakativen, aber tendenziell der Wahrheit entsprechenden Titel trägt „Einst galt der Müller als der größte Dieb im Land". Im Folgenden soll untersucht werden, wie dieses Negativimage zustande gekommen ist.
Dazu zunächst einige Erklärungsversuche auf der Basis der Literatur und der Folklore: In den Canterbury Erzählungen aus dem 14. Jahrhundert beschreibt der englische Autor Geoffrey Chaucer einen Wettbewerb, in dem Vertreter der unterschiedlichsten Berufe und Stände den besten Geschichtenerzähler ermitteln sollen. Unter ihnen ist auch ein stark betrunkener Müller, der sich allein schon durch sein ungepflegtes Äußeres, das dem eines Jahrmarktboxers ähnelt, deutlich von seinen Mitstreitern abhebt.
In seinem Verhalten ist er ungehobelt: Er hält sich nicht an die Vorgaben des Wettkampfleiters, ist vorlaut, drängelt sich vor und bricht in unflätiger Weise alle Konventionen sittlichen Handelns. Der Kontrast zu in der soziologischen Rangordnung Höherstehenden ist augenfällig. Seine dann vorgetragene Geschichte ist in jeder Hinsicht obszön und treibt auch dem aktuellen Leser die Schamesröte auf die Wangen.
Mit diesem literarischen Epos, das zur frühen Weltliteratur zählt, wird sicherlich die gesellschaftliche Randposition des Müllers in der damaligen Gesellschaft gespiegelt und für die Zukunft verfestigt.
Dieses Stereotyp wird unter anderem auch in dem englischen Folksong „The Miller's Three Sons“ bestätigt: Der Song schildert, wie angesichts seines unmittelbar bevorstehenden Todes ein Müller seine drei Söhne zu sich ruft. Er möchte herauszufinden, welcher von ihnen der geeignetste Erbe sei. Die beiden älteren Brüder entwickeln mehr oder weniger ehrliche Geschäftsvorstellungen, der jüngste bekennt sich jedoch zu rigorosem Profitstreben und wird zum Erben erklärt. Daraufhin stirbt der Vater beruhigt („he turned up his toes and died"); er kann nun sicher sein, dass sein brutales Geschäftsgebaren weiterleben wird.
Für den belgisch-niederländischen Raum hat Johann H. Winkelmann zum Bild der Müller im Antwerper Liederbuch aus dem Jahr 1544 geforscht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass „in der spätmittelniederländischen Literatur der Müller zu einem festen Typus geworden ist, der frei verfügbar war, sobald der Lauf der literarischen Handlung eine 'unehrliche Person verlangte. Er trägt fast immer den gleichen Namen: Claes Molenaer. Das negative Signum, das ihm allgemein anhaftet, hängt mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammen."
Aus der Schweiz stammt eine Überlieferung, die in der Klarheit ihrer Aussage modellhaft und stellvertretend für viele andere Sagen des westeuropäischen Raumes stehen könnte. Sie wird zitiert bei P. Keckeis, M. Waibel, 1986:
„In einer Mühle in der Matte lebte ein stämmiger Müller, ein tüchtiger Mann, dem aber nur wenige über den Weg trauten. Als ihn eines Tages der Schlagfluss getroffen hatte, begann sich das Geheimnis seines Reichtums zu lüften. Man stellte fest, dass er während vieler Jahre seine Kunden betrogen hatte. Nun war man nicht verwundert, dass er dafür nach dem Tode büßen musste. Man sah ihn um Mitternacht oft auf einer Bank in seinem Garten sitzen als prallgefüllten Mehlsack, aus dem aber weder Kopf noch Arme, sondern nur zwei nackte Menschenfüße hervorragten."
Otfried Preußler hat die sorbische Krabat-Sage als Grundlage für sein wohl erfolgreichstes Buch verwendet: „Dort" (in der Nähe von Hoyerswerda) „hauste in der Teufelsmühle ein Mann,... ein Hexenmeister und Lehrer der schwarzen Kunst, der weit und breit als Schwarzkünstler verschrien war und deshalb von allen Frommen ängstlich gemieden wurde." Krabat als Lehrjunge „…eignete sich rasch das ganze unheimliche Wissen seines Meisters an. Er musste auch damals schon den üblichen Pakt mit dem Satan schließen."
Die aus einer Vielzahl von einschlägigen Quellen eher zufällig entnommenen Beispiele mögen beweisen, dass dem Müller der stereotype Makel des arglistigen Betrügers und Außenseiters anhaftete. Diese literarische und folkloristische Charakterisierung wäre aber beim Publikum kaum auf Sympathie gestoßen, wenn da nicht eine realitätsnahe Grundlage als wahrer Kern bestanden hätte.
Auf diesem Nährboden ging dann unter literarischer und folkloristischer Bearbeitung eine Saat auf, die das Negativbild des Berufes weiter akzentuierte, verfestigte und verbreitete, bis dieser Nährboden durch die Einführung der Wettbewerbsfreiheit und Industrialisierung im 19. Jahrhundert an Bedeutung verlor und der Müller aufgewertet wurde.
Worin bestand nun dieser wahre Kern?

Die isolierte Wohnlage des Müllers

Die ungestörte Verfügbarkeit von Wind als Energieträger war ein wichtiger Standortfaktor für die Errichtung von Windmühlen. Die teilweise sehr dichte Bebauung in Ortskernen hätte die Windzufuhr beeinträchtigt und führte dazu, dass als Standort gerne ein Platz außerhalb der Stadtmauern oder der dichten Bebauung gewählt wurde. Hinzu kam, dass Mühlen eine erhöhte Feuergefahr durch Blitzeinschlag, Mehlstaubexplosionen und Heißlaufen der Zahnräder oder Mühlsteine darstellten. Um also Feuersbrünste zu vermeiden, war ein Mühlenstandort in einiger Entfernung von Wohnhäusern sinnvoll. Die wechselnden Windverhältnisse hatten einen direkten Einfluss auf die Arbeitszeit des Müllers und erforderten seine ständige Präsenz besonders in Spitzenzeiten mit erhöhtem Arbeitsbedarf, gegebenenfalls auch bei Nacht und zu Kirchzeiten. Der Müller musste also in unmittelbarer Nähe der Mühle wohnen und war somit zwangsläufig isoliert vom Rest der Gesellschaft.

Die Mühle im rechtsfreien Raum

Der Zuständigkeitsbereich der kommunalen Ordnungskräfte und die Streifen-gänge der Polizei konzentrierten sich vielfach auf die dichter bebauten Teile der Gemeinde und ließen dem Müller rechtsfreie Räume, die vielleicht auch genutzt wurden, zumindest in der schmutzigen Phantasie der Restbevölkerung. Vielfach galten Mühlen als unkontrollierbare Stätten der Sünde und des Lasters. In saisonalen Spitzenzeiten und bei günstigen Windverhältnissen konnte sich die Notwendigkeit ergeben, dass die Mühlen auch an Sonn- und Feiertagen betrieben werden mussten, was dem Kirchgang der Müller entgegenstand und die anderen Christen gestört haben mag. Auch wegen der Unaufschiebbarkeit ihrer Tätigkeit bekamen die Müller eine isolierende Sonderstellung unter ihren Mitmenschen.

Mangelnde Transparenz beim Mahlprozess

In der Einsamkeit der Mühle und unter Ausschluss der Kunden spielten sich beim Mahlvorgang in kürzester Zeit wie von Geisterhand komplexe Prozesse ab, die nur schwer nachvollziehen waren.
Der Transformationsvorgang vom Getreide zu Schrot oder Mehl mag etwas Unheimliches und Gespenstisches gehabt haben, einige Müller galten wohl auch als zwielichtige Hexenmeister, was in der Krabat-Sage zum Ausdruck kommt.

Die Müllerei als „unehrlicher Beruf"

In der hierarchisch gegliederten Gesellschaft der Vergangenheit war unter anderem die Berufszugehörigkeit entscheidend für die soziale Stellung. Es wurde unterschieden zwischen „ehrlichen" und „unehrlichen Berufen", Zu den „Unehrlichen" gehörten zum Beispiel Menschen, die ein ambulantes Gewerbe betrieben, in pflegerischen, mit Schmutz verbundenen Bereichen tätig waren oder ohne Kontakt zu Mitmenschen arbeiteten. Teilweise waren „die Unehrlichen von Ehrenämtern ausgeschlossen, mussten aber Bütteldienste zum Beispiel beim Strafvollzug leisten. Dass die Müller zu den „Unehrlichen“ gehörten, lag in erster Linie daran, dass sie wegen ihrer Unabkömmlichkeit bei der Mühle und zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Bevölkerung nicht zum Wehrdienst herangezogen werden konnten. Das galt als unehrenhaft und ist nicht zu verwechseln mit "betrügerisch“.

Die rechtliche und wirtschaftliche Stellung des Müllers

Ein weiterer Grund für das Stigma der Müller war sicherlich auch ihre rechtliche und wirtschaftliche Stellung. Sie wurden von der Herrschaft oder dem Großgrundbesitzer mit einem Privileg ausgestattet, das ihnen bis zur Einführung der Gewerbefreiheit im 19. Jahrhundert das alleinige Recht in einem gewissen Gebiet, dem Mühlenbann, zum Mahlen von Getreide verlieh. Dieser Bestandsschutz war teilweise sogar vererbbar. Etwaige Konkurrenz war somit auch langfristig ausgeschlossen, das Mahlen von Getreide, selbst in kleinen Mengen, war Anderen außer den konzessionierten Müllern verboten (Mühlenzwang) und stand unter Strafe.
Aus Großbritannien wird berichtet, dass die Polizei angewiesen war, selbst die traditionellen kleinen Handmühlen (Quernen) auf den Bauernhöfen zu zerstören. Alleinschon das Fehlen jeglicher Form von Konkurrenz führte natürlich zu Misstrauen auf Seiten der Bauern gegenüber den privilegierten Mühlenbetreibern. Dieser Argwohn wurde zudem noch durch die schwer durchschaubare Entlohnung der Müller verstärkt. Je nach Konzessionierung unterschied man zwischen Geld- und Mattmühlen. Der Müller, der eine Geldmühle betrieb, wurde für seine Dienstleistung, die im Wesentlichen aus Mahlen und Reinigen des Mahlgutes bestand, durch Zahlung von Bargeld entlohnt. Dagegen behielt der Müller einer Mattmühle in den meisten Fällen 1/16 des Mahlgutes ein. Dieser Mahllohn wurde Matte genannt und von dem Müller mit einem geeichten Gefäß, dem Mattfatt, entnommen. „Da die Mahlgäste in der Regel nicht dabei waren und kontrollieren konnten, wenn die Matte vom Müller genommen wurde, hat diese Regelung bei ihnen viel Zweifel und Misstrauen gegenüber dem Müller hervorgerufen. Dadurch kam der Müller in den Ruf, unehrlich zu sein." (Walter Norzel, Hartmut Weßling, Ostfriesisches Mühlenbuch 1991, S. 94).
Johan H. Winkelmann weist darauf hin, dass es auf Deutsch den Begriff 'moltern' gibt, was anfangs neutral 'Mahllohn nehmen' bedeutete, dann aber allmählich die Bedeutung 'Mehl stehlen', bzw. 'zu viel Mehl nehmen“ annahm. Wendungen im modernen Deutsch wie etwa „Müllertücke“ beweisen die Hartnäckigkeit der alten Meinungsbildung."
Die Skepsis gegenüber den Geschäftspraktiken des Müllers mag auch durch nachvollziehbare Enttäuschung verständlich werden:
Innerhalb von kürzester Zeit hatte sich der Müller einen relativ großen Anteil an dem Getreide verdient, für dessen Produktion der Bauer viele Monate hart gearbeitet hatte. Zudem konnte der Eindruck entstehen, dass der Mahllohn ein müheloses Einkommen war, denn die eigentliche Arbeit leistete ja der Wind oder das Wasser. Aber der Bauer war dem Müller und seinen vermeintlich zweifelhaften Geschäftspraktiken ja wegen des Mühlenzwangs alternativlos ausgeliefert. Es wäre sicherlich konsequenter gewesen, wenn der Zorn der Mahlgäste sich nicht gegen der Müller gerichtet hätte, der einen nicht unerheblichen Teil des Mahllones an die Obrigkeit abführen musste; Großbauern oder Landesherren entzogen sich jedoch den Protesten.

Die Aufwertung des Müllerberufes in der Neuzeit

Die Stein-Hardenbergschen Reformen des frühen 19. Jahrhunderts schufen die Grundlage für den radikalen Wandel im Prestige des Müllerberufs. Nach Einführung der Gewerbefreiheit entstanden landauf landab Mühlen, deren Betreiber nun unabhängig von Großbauern oder Landesherren in freiem Wettbewerb und ohne obrigkeitliche Restriktionen wirtschaften durften. Die wachsende Bevölkerungszahl und zunehmend finanzkräftigere und hungrigere Märkte in den industriellen Zentren öffneten unternehmerische Chancen. Durch den Ausbau des Verkehrsnetzes bekam der einstmals regionale Absatzmarkt eine überregionale Dimension.
Die Müller wurden nun frei gewählte Geschäftspartner der Bauern und des Landhandels auf Augenhöhe und befreiten sich davon, argwöhnisch als notorische Betrüger und Handlanger der Großbauern oder Landesherren betrachtet zu werden. Die Standorte der Wind- und Wassermühlen lösten sich nach und nach von der Abhängigkeit und Verfügbarkeit von Wasser- und Windkraft; Motormühlen ohne Bindung an die traditionellen Energiequellen traten an ihre Stelle. Die Müller konnten sich praktisch überall niederlassen. Damit einher ging auch eine Aufwertung der Berufsbezeichnung. Aus dem Müller von einst ist nun der/die staatlich geprüfter/geprüfte Techniker/Technikerin Fachrichtung Lebensmitteltechnik geworden. Auch literarisch/musikalisch spielen der Müller und seine Familie inzwischen auf einer anderen Bühne: „Die Schöne Müllerin" von Franz Schubert wäre zu Chaucers Zeiten undenkbar gewesen.
(gefunden in "Der Mühlstein"; Periodikum für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung, Juli 2025)